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Warum ich den Weg des "Sondervermögens Bundeswehr" abgelehnt habe

Liebe Bürgerinnen und Bürger,
 
Der Bundestag hat heute ein „Sondervermögen Bundeswehr“ beschlossen. Ich selbst habe mich als Ihre Abgeordnete gegen diesen Weg entschieden und möchte das all denen, die an meinen Beweggründen und Argumenten interessiert sind, erläutern.
 
Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurde die europäische Friedensordnung durch den russischen Präsidenten Putin pulverisiert und die nationale Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine grundsätzlich negiert. Die Aussagen des russischen Präsidenten und die verübten Kriegsverbrechen lassen darauf schließen, dass die kulturelle Identität des gesamten ukrainischen Volkes angegriffen und vernichtet werden soll. Es ist daher die richtige Entscheidung des Bundeskanzlers und der Ampelkoalition, ihr völkerrechtliches Recht auf Selbstverteidigung durch finanzielle, humanitäre und militärische Hilfe zu unterstützen. Die Fortsetzung dieses Kurses – auch durch die Lieferung weiterer Waffen -  halte ich für notwendig, geboten und unterstütze ihn uneingeschränkt.
 
Zweifelsohne hat dieser Angriffskrieg auch viele Fragen zu der eigenen Verteidigungsfähigkeit Deutschlands aufgeworfen. Die marode Aufstellung der Bundeswehr nach 16 Jahren unionsgeführtem Verteidigungsministerium durch fehlende Investitionen ist fahrlässig und muss korrigiert werden. Dafür braucht es einerseits mehr Geld, andererseits aber auch zwingend nötige Strukturreformen. Der Militäretat Frankreichs entspricht der bisherigen Höhe des deutschen Budgets – jedoch mit einem fundamental anderen Ergebnis. Daher bleibt die Reform des Beschaffungswesens meines Erachtens die vordringlichste Aufgabe, da jeder zusätzlicher Euro andernfalls in ineffizienten Strukturen versinkt. Ferner ist eine gesellschaftliche wie parlamentarische Diskussion zur Aufstellung der Bundeswehr in ihren Bündnisstrukturen der Nato sowie der Europäischen Union unerlässlich. Ich bedauere, dass diese Debatte vor der heutigen Abstimmung nicht stattgefunden hat, so dass Zielrichtung und Höhe der heute zu beschließenden Ausgaben nicht in diesem Lichte zu beurteilen sind.
 
Ungeachtet dessen unterstütze und begrüße ich zusätzliche Investitionen in die Bundeswehr. Die Soldatinnen und Soldaten sind in letzter Instanz Verteidiger*innen unserer Demokratie und Freiheit und insbesondere als Parlamentarierin bin ich für ihren persönlichen Einsatz zutiefst dankbar. Sie mit schlechter Ausrüstung und militärischem Gerät ausgestattet zu sehen, ist für mich nicht zu verantworten. Daher ist mein Nein zu der heutigen Abstimmung kein Nein zu notwendigen Ausgaben für unsere Bundeswehr. Im Gegenteil bin ich der festen Überzeugung, dass ihre Ausstattung zu einer der wichtigsten Aufgaben des Parlamentes gehört und damit auch in meiner Verantwortung liegt.
 
Den Weg, das Geld über ein Sondervermögen für die Bundeswehr im Grundgesetz in diesem Verfahren zu verabschieden, lehne ich jedoch ab und kann ihm daher nicht zustimmen. Denn ich beurteile den russischen Angriffskrieg als einen fundamentalen Einschnitt in der globalen Weltordnung. Insbesondere die Begründung des Einmarsches zeigt deutlich, dass es Russland nicht um die Ukraine, sondern um die Sicherung eines „kulturellen“ Einflussgebietes geht. Ähnliche Ziele beschreibt die chinesische Regierung. Beide autokratischen Länder verfolgen dieses Ziel sowie eine Stärkung ihres globalen Einflusses, in der Vergangenheit auch mithilfe von Cyberangriffen unter anderem auf Wahlen, massiver Propaganda, aber auch im Falle Chinas mit wirtschaftlichen Mitteln, die zu einer imperialistischen Abhängigkeit vieler Staaten weltweit geführt hat.
 
Angesichts dieser umfassenden Bedrohung der Demokratie nach außen wie nach innen, halte ich es für zwingend geboten, dass der deutsche wie der europäische Parlamentarismus einen umfassenden Handlungsspielraum hat, um Menschenrechte und Demokratie national wie global zu verteidigen. Diese Verteidigung erschöpft sich nicht in militärischen Fragen, sondern hat vor allem wirtschaftspolitische Dimensionen. Die Umstellung auf erneuerbare Energien und die Loslösung von fossilen Energieträgern in autokratischer Hand kostet genauso viel Geld wie eine höhere Autarkie durch ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft und der Aufbau europäischer industrieller Lieferketten. Die Stärkung der Handelsbeziehungen mit dem globalen Süden, besonders Afrika, bedarf weiterer auch finanzieller Investitionen, auch um den Einfluss Chinas zurückzudrängen.
 
Der Krieg gegen die Ukraine wird zu weltweitem Hunger führen. Auch hier wird kurzfristig zusätzliches Geld in der Entwicklungszusammenarbeit gebraucht, um das Sterben zu verhindern und Menschen zu ermöglichen, in ihren Herkunftsländern bleiben zu können, anstatt nach Europa fliehen zu müssen. Der Wiederaufbau der Ukraine erfordert weitere Investitionen.
 
Darüber hinaus wird die anhaltende nationale Verteuerung der Lebenshaltungskosten durch den Krieg und die anstehenden Wandelprozesse, welche die Demokratie von innen unter Druck setzen und strukturelle wie kurzfristige Entlastung erfordern, die nicht ohne zusätzliche Investitionen möglich ist. Die Abwendung bestimmter Bevölkerungsgruppen von der Demokratie ist schon jetzt zu beobachten. Die Reformprojekte der Koalition gerade in zentralen Gerechtigkeitsfragen stehen schon heute unter großem Finanzierungsdruck.
 
Gerade, weil ich angesichts der Zeitenwende unsere Demokratie nach außen wie nach innen verteidigen möchte, ist der Weg des grundgesetzlich verankerten Sondervermögens für militärische Zwecke aus meiner Sicht der falsche. Er fokussiert sich einseitig auf die Bundeswehr und lässt außer Acht, dass der 24. Februar unser entschlossenes Handeln als Demokrat*innen auch auf anderen sicherheitsrelevanten Feldern notwendig macht. Die Schuldenbremse limitiert demokratisches Handeln angesichts dieser Feuerprobe zu stark. Ihre Umgehung allein für ein Bundeswehrsondervermögen ist daher ein Weg, der die Politik der Kurzsichtigkeit auf unbestimmte Zeit fortsetzt. Die Abschaffung der Schuldenbremse ist zwingend nötig. Es wäre auch eine Reform denkbar gewesen, die entweder die Schaffung anderer Sondervermögen für wichtige Investitionen ermöglicht hätte, oder ihre Flexibilisierung im Hinblick auf sicherheitsrelevante Ausgaben – auch mit Blick auf den sozialen Frieden.
 
Mein heutiges Nein zu einem grundgesetzlich verankerten Sondervermögen für die Bundeswehr ist also kein Nein zu, wenn nötig, höheren Rüstungsausgaben, sondern ein Nein zu einem falschen Weg, der die Handlungsfähigkeit unserer Demokratie einschränkt, die im Angesicht von aggressiven und expansiven Autokratien mit Blick auf militärische, soziale und wirtschaftliche Sicherheit bestehen muss.
 
Aus diesen Erwägungen heraus habe ich das Gesetzesvorhaben heute abgelehnt.